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Der innere Kompass: Wie toxische Beziehungen Deine Grundbedürfnisse blockieren – und wie Du sie wieder stärkst

  • Autorenbild: Janina Selbach
    Janina Selbach
  • 30. Aug.
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Nov.

Frau hält einen Kompass in der Hand
Dein innerer Kompass

Warum fühlst Du Dich in toxischen Beziehungen oft leer, unsicher und wie auf einer emotionalen Achterbahn? Die Antwort liegt in unseren neurobiologischen Grundmotiven – den tiefsten Bedürfnissen, die jeder Mensch in sich trägt. In gesunden Beziehungen werden sie genährt, in toxischen dagegen verletzt. In diesem Artikel erfährst Du, was die vier Grundmotive sind, wie sie mit Deinen Emotionen und Neurotransmittern zusammenhängen und warum Ressourcen so wichtig sind, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Außerdem zeige ich Dir, welche Copingstrategien Dich in ungesunden Beziehungen festhalten – und wie Du sie in Zukunft für Dich nutzen kannst.


Wenn Liebe wie ein Rausch wirkt – und warum uns das verwirrt

Vielleicht kennst Du den Song Dopamine“ von Purple Disco Machine. Schon der Titel verrät, worum es geht: um diesen Kick, dieses Hochgefühl, das wir erleben, wenn das Glückshormon Dopamin in unserem Körper ausgeschüttet wird. In Beziehungen kann sich das anfühlen wie ein Rausch – Euphorie, Schmetterlinge im Bauch, das Gefühl, auf Wolken zu schweben.


Doch was so berauschend beginnt, kann in toxischen Beziehungen schnell zur Falle werden. Denn genau wie bei einer Droge sehnt sich Dein Gehirn immer wieder nach diesem Kick – nach dem nächsten schönen Moment, nach der nächsten Phase von Nähe und Bestätigung. Zwischen diesen Höhenflügen liegt jedoch oft ein tiefer Absturz: Unsicherheit, Angst, Zweifel und Schmerz.


Und genau hier kommen die neurobiologischen Grundmotive ins Spiel – sie sind der innere Kompass, der darüber entscheidet, ob wir uns in einer Beziehung wirklich erfüllt fühlen oder ob wir uns in einem Kreislauf von Abhängigkeit und Enttäuschung verlieren.


Was sind neurobiologische Grundmotive?

Jeder Mensch trägt in sich grundlegende Bedürfnisse, die tief in unserem Nervensystem verankert sind. Man nennt sie die neurobiologischen Grundmotive – sie sind die zentralen Antriebskräfte unseres Handelns und Erlebens. Du kannst sie Dir wie einen inneren Kompass vorstellen, der Dich durchs Leben führt und dafür sorgt, dass Du Dich lebendig, sicher und verbunden fühlst (vgl. Grawe, 2004; Eilert, 2021).


Diese Grundmotive sind universell. Ganz gleich, wo Du geboren bist, welches Alter oder Geschlecht Du hast – sie wirken in uns allen. Sie lassen sich sogar biologisch nachweisen, denn sie stehen in enger Verbindung mit bestimmten Hormonen und Neurotransmittern. Wenn ein Motiv erfüllt ist, schüttet Dein Gehirn „Wohlfühlchemie“ aus – Du spürst Sicherheit, Freude oder Stolz. Wird es dagegen dauerhaft verletzt, führt das zu innerem Stress, Unsicherheit oder sogar zu gesundheitlichen Problemen.


Vielleicht kennst Du das aus Deinem Alltag:

  • Wenn Deine Meinung immer wieder übergangen wird, verlierst Du nicht nur Selbstvertrauen, sondern auch das Gefühl, Einfluss auf Dein Leben zu haben.

  • Wenn Du nie weißt, woran Du in einer Beziehung bist, fehlt Dir Ordnung und Stabilität – Dein Körper schaltet auf Alarmmodus.

  • Wenn Nähe fehlt oder sie mit Schuld und Scham belastet ist, entsteht Einsamkeit statt Geborgenheit.

  • Und wenn Freude und Leichtigkeit abgewertet werden, erlischt mit der Zeit Deine Lebenslust.


So wird deutlich: Wenn ein oder mehrere dieser Motive nicht erfüllt sind, entsteht ein Ungleichgewicht – eine Art innere Schieflage, die uns ausbremst und emotional blockiert. Genau das erleben viele Frauen in toxischen Beziehungen.


Der Motivkompass® – unser innerer Wegweiser

Um die vier neurobiologischen Grundmotive besser zu verstehen, hilft uns der Motivkompass®. Er zeigt, dass diese Motive wie Himmelsrichtungen sind – jeder Mensch trägt sie in sich, und wir alle bewegen uns ständig zwischen ihnen hin und her (vgl. Eilert, 2021).

Motivkompass nach Dirk Eilert
Motivkompass® nach Dirk Eilert

Die vier Grundmotive lauten:

🔴 Durchsetzung & Einfluss

  • Neurotransmitter: Testosteron und Serotonin

  • Emotionen: Stolz, Ärger, Verachtung

  • Dieses Motiv gibt Dir die Kraft, Grenzen zu setzen, Deine Stimme zu erheben und für Dich einzustehen. In gesunden Beziehungen bedeutet es: Deine Meinung zählt, Du wirst respektiert.


🔵 Ordnung & Stabilität

  • Neurotransmitter: Cortisol und Acetylcholin

  • Emotionen: Angst, Ekel

  • Dieses Motiv sorgt für Sicherheit, Verlässlichkeit und Struktur. In gesunden Beziehungen bedeutet es: Du weißt, woran Du bist, kannst Dich entspannen und musst nicht ständig „auf der Hut“ sein.


🟢 Harmonie & Geborgenheit

  • Neurotransmitter: Oxytocin

  • Emotionen: Liebe, Trauer, Scham, Schuld

  • Dieses Motiv stillt unser Bedürfnis nach Nähe, Vertrauen und Verbundenheit. In gesunden Beziehungen bedeutet es: Du wirst angenommen, wie Du bist, ohne Dich verstellen zu müssen.


🟡 Inspiration & Leichtigkeit

  • Neurotransmitter: Dopamin

  • Emotionen: Freude, Interesse

  • Dieses Motiv steht für Kreativität, Begeisterung und Lebenslust. In gesunden Beziehungen bedeutet es: Ihr könnt gemeinsam lachen, Neues entdecken und miteinander wachsen.


Der Motivkompass® macht auch deutlich, dass die Motive in Balance sein müssen. Sie bilden Gegensätze, die sich gegenseitig ausgleichen:

  • Durchsetzung ↔ Harmonie

  • Ordnung ↔ Inspiration


Wird ein Pol überbetont oder vernachlässigt, entsteht ein Ungleichgewicht. Beispiel: Wenn Harmonie so wichtig wird, dass Du Deine eigene Stimme verlierst, leidet das Motiv der Durchsetzung. Oder wenn alles nur noch geordnet und sicher sein soll, bleibt keine Energie für Freude und Leichtigkeit.


In gesunden Beziehungen wechseln sich diese Pole ab – sie geben sich gegenseitig Halt. In toxischen Beziehungen dagegen kippt das Gleichgewicht oft dramatisch.


Vergleich: Grundmotive in toxischen vs. gesunden Beziehungen

Unsere vier Grundmotive sind immer da – aber sie können in Beziehungen entweder genährt oder massiv verletzt werden. Gerade in toxischen Beziehungen erlebst Du oft das Gegenteil von dem, was Du eigentlich brauchst. Schauen wir uns an, wie sich die Motive unterscheiden – toxisch vs. gesund:


🔴 Durchsetzung & Einfluss

  • Neurotransmitter: Testosteron und Serotonin

  • Toxische Beziehung: Deine Grenzen werden ignoriert. Vielleicht sagt Dein Partner abfällig: „Du übertreibst doch schon wieder“, wenn Du ein Problem ansprichst. Mit der Zeit traust Du Dich kaum noch, Deine Bedürfnisse zu äußern – aus Angst vor Streit oder Abwertung. Statt Stolz spürst Du Scham oder Ohnmacht. Dein Serotoninspiegel sinkt, Testosteron kann nicht in gesunde Durchsetzungskraft fließen – Du fühlst Dich klein.

  • Gesunde Beziehung: Du kannst sagen: „Das tut mir weh“ – und wirst ernst genommen. Dein Partner hört Dir zu, auch wenn er nicht immer einer Meinung ist. Dadurch stabilisieren sich Serotonin und Testosteron – Du fühlst Dich selbstbewusst und respektiert.


🔵 Ordnung & Stabilität

  • Neurotransmitter: Cortisol und Acetylcholin

  • Toxische Beziehung: Du weißt nie, woran Du bist. Heute bist Du die Liebe seines Lebens, morgen ignoriert er Dich oder droht, zu gehen. Dieses ständige Auf und Ab hält Dein Nervensystem in Dauerstress – Dein Körper schüttet Cortisol aus, was Angst und Anspannung verstärkt. Acetylcholin, das eigentlich Ruhe fördert, kommt kaum noch zum Zug.

  • Gesunde Beziehung: Du spürst: „Ich kann mich fallen lassen.“ Verlässlichkeit und Klarheit lassen Deinen Cortisolspiegel sinken, während Acetylcholin Entspannung ermöglicht. Dein Körper findet zur Ruhe.


🟢 Harmonie & Geborgenheit

  • Neurotransmitter: Oxytocin

  • Toxische Beziehung: Nähe wird oft mit Schuld, Scham oder Angst vermischt. Vielleicht hörst Du Sätze wie: „Wenn Du mich wirklich liebst, würdest Du…“ – und Du gibst nach, um den Frieden zu wahren. Dein Bedürfnis nach Geborgenheit kippt in emotionale Abhängigkeit. Paradoxerweise schüttet Dein Körper trotzdem Oxytocin aus – das „Bindungshormon“ verstärkt die Bindung an den toxischen Partner und macht Loslassen schwer.

  • Gesunde Beziehung: Nähe entsteht ohne Bedingungen. Du kannst traurig, wütend oder verletzlich sein – und trotzdem geliebt werden. Oxytocin unterstützt echtes Vertrauen und stabile Bindung.


🟡 Inspiration & Leichtigkeit

  • Neurotransmitter: Dopamin

  • Toxische Beziehung: Freude und Leichtigkeit haben kaum Platz. Wenn Du lachst oder Pläne für Dich machst, kommt vielleicht Kritik: „Mach mal halblang, das ist doch unrealistisch.“ Statt Lebenslust fühlst Du Schwere. Dein Dopaminsystem läuft wie in einer Achterbahn – kleine Hochgefühle beim Love Bombing, gefolgt von langen Tiefs bei Abwertung oder Schweigen.

  • Gesunde Beziehung: Ihr könnt gemeinsam lachen, Neues ausprobieren, Pläne schmieden. Dein Dopaminspiegel steigt stabil – Freude, Neugier und Begeisterung bereichern Dein Leben.


Wenn Grundmotive dauerhaft in toxischen Beziehungen verletzt werden, entsteht ein Kreislauf aus Unsicherheit, Selbstzweifeln und innerer Erschöpfung. Viele Frauen entwickeln dann unbewusst Strategien, um die Beziehung trotzdem aufrechtzuerhalten – auch wenn sie ihnen eigentlich schadet.


Copingstrategien in toxischen Beziehungen – und wie Du sie wieder für Dich nutzen kannst

Wenn unsere Grundmotive verletzt werden, sucht unser System automatisch nach Wegen, um den Schmerz irgendwie auszuhalten. Diese Strategien nennt man Coping – sie sollen Stress reduzieren und uns wieder ins Gleichgewicht bringen. Die Forschung zeigt aber: Nicht jede Strategie passt zu jeder Situation. Entscheidend ist, ob sie uns langfristig stärkt – oder ob sie uns in einer ungesunden Dynamik festhält (vgl. Bonanno, 2004).

MeSource Copingmodell basierend auf dem Motivkompass nach Dirk Eilert
MeSource®-Copingmodell nach Dirk Eilert

Das MeSource®-Copingmodell unterscheidet vier Kategorien:

🟡Faszination – die Kraft, das Gute zu sehen

  • In toxischen Beziehungen: Du klammerst Dich an die schönen Momente. Nach einem Streit reicht ein kleiner Liebesbeweis, und Du denkst: „Siehst Du, er kann ja doch liebevoll sein.“ Kurzfristig blendet das die Realität aus.

  • So stärkst Du Faszination gesund: Richte Deinen Blick bewusst auf Dinge, die Dich erfüllen und inspirieren – ein Spaziergang in der Natur, ein gutes Buch, ein Gespräch mit einer Freundin. Faszination heißt: das Schöne wahrnehmen, ohne das Schädliche zu überdecken.


🔴Einflussnahme – die Fähigkeit, aktiv zu gestalten

  • In toxischen Beziehungen: Du versuchst, Deinen Partner zu ändern – diskutierst, erklärst, passt Dich an. Am Ende verlierst Du Energie, ohne wirklich etwas zu bewegen.

  • So stärkst Du Einflussnahme gesund: Nimm Dein Leben wieder in die Hand, dort, wo Du wirklich gestalten kannst – in Deinem Alltag, Deinen Entscheidungen, Deinen Grenzen. Zum Beispiel, indem Du sagst: „Heute nehme ich mir bewusst Zeit für mich.“ oder „Ich gehe einen Schritt in Richtung meiner beruflichen Ziele.“


🟢Akzeptanz – die Kunst, anzunehmen, was ist

  • In toxischen Beziehungen: Du redest Dir ein: „Es ist nicht so schlimm. Ich muss mich damit abfinden.“ – und gibst Dich selbst auf.

  • So stärkst Du Akzeptanz gesund: Übe Dich darin, Dinge anzunehmen, die Du nicht ändern kannst – ohne Dich selbst zu verraten. Zum Beispiel: „Ja, ich fühle heute Traurigkeit – und das darf sein.“ oder „Ich akzeptiere, dass diese Beziehung mir nicht guttut – und entscheide mich für mich.“


🔵Gleichmut – die Ruhe, Abstand zu gewinnen

  • In toxischen Beziehungen: Du wirst innerlich taub, um den Schmerz nicht mehr zu fühlen. Das schützt kurzfristig, trennt Dich aber auch von Dir selbst.

  • So stärkst Du Gleichmut gesund: Finde Momente, in denen Du bewusst Abstand nimmst – nicht aus Verdrängung, sondern um wieder Kraft zu sammeln. Meditation, Atemübungen oder das Schreiben eines Tagebuchs können helfen, Abstand zu schaffen, ohne Dich innerlich zu verschließen.


In gesunden Beziehungen sind diese Copingstrategien flexibel – Du kannst je nach Situation zwischen ihnen wechseln. In toxischen Beziehungen dagegen verfestigen sie sich oft in einem Kreislauf, der Dich in der Abhängigkeit hält.


Ressourcen – Dein Schlüssel zur Heilung

Wenn Deine Grundmotive in einer toxischen Beziehung verletzt wurden, fühlst Du Dich oft leer, erschöpft oder innerlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Genau hier kommen Ressourcen ins Spiel. Ressourcen sind Deine inneren Kraftquellen – alles, was Dir Stabilität, Energie und innere Ruhe schenkt. Sie helfen Dir, wieder in Kontakt mit Dir selbst zu kommen und Deine Grundmotive neu auszubalancieren (vgl. Eilert, 2021).


Ressourcen wirken wie ein Gegengewicht zu den Verletzungen, die Du erlebt hast:

  • Für Durchsetzung & Einfluss: Ressourcen wie Stolz oder das Gefühl, eine Grenze klar gesetzt zu haben, stärken Dein Selbstbewusstsein.

  • Für Ordnung & Stabilität: Ressourcen wie Sicherheit und Entspannung geben Deinem Nervensystem die Botschaft: „Du bist in Sicherheit, es ist gerade nichts Bedrohliches da.“

  • Für Harmonie & Geborgenheit: Ressourcen wie Dankbarkeit oder die Erinnerung an eine Situation, in der Du Dich wirklich verbunden gefühlt hast, nähren Deine Fähigkeit, gesunde Bindungen zu erleben.

  • Für Inspiration & Leichtigkeit: Ressourcen wie Ehrfurcht vor etwas Größerem oder Mitfreude über das Glück anderer schenken Dir Weite, Leichtigkeit und neue Perspektiven.


In toxischen Beziehungen geraten diese Ressourcen meist in den Hintergrund, weil Dein ganzes System damit beschäftigt ist, zu überleben und auf den nächsten Konflikt oder die nächste Manipulation zu reagieren. Doch je mehr Du Dich wieder Deinen Ressourcen zuwendest, desto stärker wirst Du Schritt für Schritt.


In unserem Workshop FREIRAUM arbeiten wir genau damit: Wir helfen Dir, wieder Zugang zu Deinen Ressourcen zu finden, Scham und Schuld loszulassen und Deinen inneren Kompass neu auszurichten. Denn Heilung bedeutet nicht, die Vergangenheit zu vergessen – sondern die Kraft zu entwickeln, heute frei und selbstbestimmt zu leben.


Am Ende geht es darum, dass Du Dich wieder mit Dir selbst verbindest. Deine Grundmotive sind nicht verschwunden – sie warten darauf, in gesunden Beziehungen erfüllt zu werden. Indem Du Deine Ressourcen stärkst und lernst, auf Deinen inneren Kompass zu vertrauen, findest Du Schritt für Schritt zurück zu Dir. Und genau auf diesem Weg bist Du nicht allein – es gibt Unterstützung, Heilung und Hoffnung.


Quellenangaben

  • Bonanno, G. A. (2004). Loss, trauma, and human resilience: Have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events? American Psychologist, 59(1), 20–28.

  • Eilert, D. (2021). Die Kraft unserer Emotionen. Berlin: Eilert Akademie.

  • Eilert, D. (2018). Der Motivkompass: Emotionen verstehen – Menschen gezielt bewegen. Berlin: Eilert Akademie.

  • Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

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