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Das autonome Nervensystem: Wie unser Körper Emotionen und Reaktionen steuert

  • Autorenbild: Janina Selbach
    Janina Selbach
  • 24. Nov. 2024
  • 4 Min. Lesezeit


Das autonome Nervensystem (ANS) spielt eine zentrale Rolle in der Steuerung unserer Körperfunktionen und beeinflusst direkt unser emotionales Erleben. Von der Reaktion auf Gefahrensituationen über die Regulation unserer Organe bis hin zur Verbindung zu unserer Gefühlswelt ist das ANS ständig aktiv und unterstützt uns dabei, in Einklang mit unserer Umwelt zu leben. In diesem Artikel betrachten wir das ANS aus verschiedenen Perspektiven und tauchen ein in die faszinierende Polyvagaltheorie, die uns hilft zu verstehen, wie eng unser Nervensystem mit Emotionen und sozialen Interaktionen verknüpft ist.


Das Nervensystem des Menschen: Ein Überblick


Das Nervensystem im menschlichen Körper wird in zwei große Bereiche unterteilt: das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS). Während das ZNS Gehirn und Rückenmark umfasst und zentrale Steuerungsaufgaben übernimmt, erstreckt sich das PNS durch den gesamten Körper und ist für die Übertragung von Informationen zuständig. Innerhalb des PNS gibt es wiederum zwei wichtige Unterteilungen:

  1. Somatisches Nervensystem: Es ist für bewusste Bewegungen und sensorische Wahrnehmungen zuständig und erlaubt uns, auf äußere Reize gezielt zu reagieren.

  2. Autonomes Nervensystem (ANS): Es arbeitet unbewusst und regelt grundlegende Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag und Verdauung. Das ANS wird weiter in zwei Gegenspieler aufgeteilt: den Sympathikus und den Parasympathikus.


Sympathikus und Parasympathikus: Zwei Seiten einer Medaille


Der Sympathikus und Parasympathikus sind die Hauptakteure des autonomen Nervensystems, die in enger Abstimmung dafür sorgen, dass unser Körper auf verschiedenste Situationen optimal reagiert.


Sympathikus: Der Modus „Kampf oder Flucht“

Der Sympathikus ist verantwortlich für die Aktivierung des Körpers in Stress- und Gefahrensituationen. Wenn wir in eine bedrohliche Situation geraten, setzt er Adrenalin frei, erhöht die Herzfrequenz und beschleunigt die Atmung, um uns auf „Kampf oder Flucht“ vorzubereiten. Typische Reaktionen unter Einfluss des Sympathikus sind:

  • Erweiterung der Pupillen

  • Erhöhung der Blutzufuhr zu Muskeln

  • Hemmung der Verdauungsprozesse

Diese Reaktionen geben uns die nötige Energie und Wachsamkeit, um schnell auf potenzielle Bedrohungen zu reagieren.


Parasympathikus: Der Modus „Ruhe und Verdauung“

Im Gegensatz dazu ist der Parasympathikus in Ruhe- und Erholungsphasen aktiv. Er beruhigt den Körper, senkt Herzfrequenz und Blutdruck und fördert die Verdauung und Zellreparatur. Die Aktivität des Parasympathikus ist entscheidend für Regeneration und Aufbauprozesse im Körper. Typische Anzeichen seiner Aktivität sind:

  • Verlangsamung der Herzfrequenz

  • Förderung der Verdauung und Stoffwechselprozesse

  • Entspannung der Muskulatur

In der Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus findet unser Körper zu einem Zustand optimaler Funktionalität.


Polyvagaltheorie: Ein neues Verständnis des autonomen Nervensystems


Die Polyvagaltheorie, entwickelt von Dr. Stephen Porges, erweitert unser Wissen über das autonome Nervensystem, indem sie den Parasympathikus in zwei Äste unterteilt: den dorsalen Vagus und den ventralen Vagus. Diese Theorie beschreibt, wie unser Nervensystem auf verschiedene Reize und soziale Interaktionen reagiert und wie diese Reaktionen unsere emotionale und körperliche Gesundheit beeinflussen.


Die drei Prinzipien der Polyvagaltheorie

  1. Neurozeption: Unser Nervensystem „scannt“ ständig unsere Umgebung und unsere inneren Zustände auf potenzielle Gefahren, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Diese automatische Überprüfung wird als Neurozeption bezeichnet und beeinflusst, ob wir uns sicher, unsicher oder bedroht fühlen.

  2. Autonome Hierarchie: Die Polyvagaltheorie beschreibt eine Hierarchie der Reaktionen des autonomen Nervensystems:

    • Ventraler Vagus (sichere Bindung): Ermöglicht soziale Interaktionen und Verbindungen, während wir uns sicher und entspannt fühlen.

    • Sympathikus (Kampf oder Flucht): Aktiviert, wenn wir uns bedroht fühlen, aber eine Flucht oder Reaktion möglich erscheint.

    • Dorsaler Vagus (Erstarrung oder Rückzug): Setzt ein, wenn die Bedrohung überwältigend ist und wir uns zurückziehen oder „abschalten“.

  3. Co-Regulation: Menschen sind von Natur aus soziale Wesen, und unser autonomes Nervensystem reagiert besonders empfindlich auf soziale Unterstützung. Co-Regulation beschreibt, wie wir Sicherheit und Ruhe in der Interaktion mit anderen Menschen finden und wie positive soziale Bindungen uns helfen, Stress zu bewältigen.


Reguliertes vs. dysreguliertes autonomes Nervensystem


Ein reguliertes autonomes Nervensystem kann flexibel auf Herausforderungen reagieren und kehrt nach Belastungen in den Normalzustand zurück. Wenn das ANS jedoch dauerhaft auf Gefahr eingestellt ist (durch chronischen Stress oder Trauma), kann es in einen dysregulierten Zustand geraten. Typische Anzeichen einer Dysregulation sind:

  • Überaktivierter Sympathikus: Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit

  • Dominanter dorsaler Vagus: Gefühl von Leere, Rückzug, depressive Verstimmung

Ein dysreguliertes ANS kann es uns schwer machen, ruhig und gelassen zu reagieren und das Stresstoleranzfenster wird enger.


Das Stresstoleranzfenster: Ein Maßstab für unsere emotionale Belastbarkeit


Das Stresstoleranzfenster beschreibt den Bereich, in dem wir auf Stressreize flexibel und angemessen reagieren können, ohne überwältigt zu werden. Innerhalb dieses Fensters kann das Nervensystem auch auf stressige Situationen ruhig und kontrolliert antworten. Bei einem dysregulierten ANS wird dieses Fenster jedoch enger, und wir sind anfälliger für Überreaktionen oder Erstarrung. Das Ziel der Regulation ist es, dieses Fenster durch geeignete Maßnahmen wieder zu erweitern.


Der Vagusnerv: Eine zentrale Rolle für Ruhe und Gesundheit


Der Vagusnerv ist der wichtigste Nerv des Parasympathikus und hat vielfältige Funktionen in der Regulation unserer Organe und unseres Wohlbefindens. Er ist der 10. Hirnnerv und er wird auch als Wanderer bezeichnet, denn übersetzt heißt Vagus Wanderer.


Der Verlauf und die Funktion des Vagusnervs


Der Vagusnerv beginnt im Gehirn und verläuft über Hals, Brustraum und Bauch, wo er Organe wie Herz, Lunge, Magen und Darm innerviert. Er ist entscheidend für die Kontrolle der Herzfrequenz, die Atemfrequenz und die Verdauung und kann zudem entzündungshemmend wirken.


Wie wir den Vagusnerv beruhigen können


Techniken zur Aktivierung des Vagusnervs umfassen Atemübungen, sanfte Bewegung, Meditation und soziale Interaktionen. Auch kaltes Wasser im Gesicht oder summende Geräusche können den Vagusnerv stimulieren und beruhigend wirken.


Die Verbindung zwischen autonomem Nervensystem und Emotionen


Das autonome Nervensystem reagiert sehr empfindlich auf emotionale Zustände. Freude und Entspannung aktivieren den ventralen Vagus, während Angst und Bedrohung den Sympathikus stimulieren. Diese neuronale Verbindung erklärt, warum wir in stressigen Momenten körperliche Symptome wie Herzrasen oder Zittern verspüren.


Glimmer und Trigger: Wie sie das Nervensystem beeinflussen


Glimmer und Trigger sind wichtige Begriffe in Bezug auf das autonome Nervensystem. Trigger sind Reize, die eine automatische Stress- oder Gefahrenreaktion auslösen können, da sie eine frühere, meist unbewusste Erfahrung aktivieren. Glimmer hingegen sind positive Momente oder Situationen, die das Sicherheitsgefühl stärken. Beide Konzepte stehen in enger Verbindung zur autonomen Hierarchie, da sie bestimmen, ob und wie unser Nervensystem in die Aktivität des Sympathikus, dorsalen oder ventralen Vagus umschaltet.

Das autonome Nervensystem ist ein faszinierendes, komplexes System, das weit mehr als nur grundlegende Körperfunktionen steuert. Es ist ein tief verwobenes Netzwerk, das uns nicht nur auf Gefahr und Sicherheit, sondern auch auf emotionale Erlebnisse und soziale Beziehungen reagieren lässt.

 
 
 

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